Sex gegen Designerkleider
Ein Kinofilm schockiert Polen: In «Shopping Girls» verkaufen Mädchen ihre Körper gegen Designerkleider und Handys. Keine Fiktion, sondern trauriger Alltag in polnischen Malls.
Sie sind in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Warschauer Boden geschossen – Einkaufszentren mit klingenden Namen wie «Arkadien», «Goldene Terrassen» oder «Fort Wola». Auf zehntausenden Quadratmetern bieten unzählige Läden ihre Waren feil und suggerieren Wohlstand, zumindest in den Auslagen. Heile Konsumwelt in der grauen polnischen Hauptstadt. Seit einigen Monaten wandeln viele Polen aber nicht mehr ganz unbeschwert durch die Riesen-Malls: Ist das Mädchen im Minirock mit dem tiefen Ausschnitt, das mich anlächelt, einfach freizügig? Oder doch eine Prostituierte, ein «shopping girl»? Diese Frage stellt sich, seitdem der gleichnamige Kinofilm im katholisch-verklemmten Polen für Furore sorgte.
Im preisgekrönten Werk suchen sich minderjährige Mädchen, so genannte «galerianki» («Galeria» nennt man in Polen die grossen Einkaufszentren), einen Gönner, der ihnen Kleider, Handys oder Schminkartikel kauft – gegen Sex. Im Film meint die erfahrene Milena lakonisch zur Mitläuferin Alicja, die bei den aufgetakelten Jung-Prostituierten Anschluss sucht: «Wenn ein Mädchen attraktiv und hübsch ist, muss sie ihre Trümpfe ausspielen. Darum musst du einen Sponsor haben.» Sie rät der Novizin, bei den Männern auf Schuhe, Uhr und Handy zu achten. Schliesslich sollten die Kunden ja Geld haben, und nicht «mit einem klapprigen Fiat Seiciento anfahren».
Tatort Tiefgarage
Ist ein potenzieller Sponsor ausgemacht, geht es zur Sache: «Wenn du mir Jeans kaufst, blas ich dir einen», haut Milena einen jungen Mann im Anzug an. Darauf verschwinden die beiden in die Tiefgarage. Auch die Toiletten in den Einkaufszentren sind bei den Shopping girls beliebt. Alles nur Fiktion? Beileibe nicht. Dass sich junge Mädchen, meist im Alter von 13 bis 15 Jahren, für Luxus prostituieren, ist in Polen trauriger Alltag. Die 29-jährige Regisseurin des Films, Kasia Roslaniec, knüpfte monatelang Kontakte zu Shopping girls, sprach mit ihnen über ihr Sexleben, ungewollte Schwangerschaften, Ängste und Hoffnungen. «Shopping Girls» wiederum inspirierte die Polizei der Grossstadt Katowice, eine Studie über die Einkaufszentren-Prostitution durchzuführen. Das Resultat: Von den befragten 15-Jährigen haben 67 Prozent angegeben, jemanden zu kennen, der sich Kleider oder Kosmetika mit Sex erkauft.
Anders als man denken würde, stammen die Mädchen nicht unbedingt aus armen Familien. «Sie haben schlicht hohe Ansprüche und einen Lebensstil, der auf Konsum ausgerichtet ist», sagt Jakub Spiewak, Präsident der Kinderschutzorganisation Kidprotect.pl, auf Anfrage von Tagesanzeiger.ch/Newsnetz. Die moralische Dekandenz – von Shopping girls und Freiern – hat in Polen eine heftige Debatte ausgelöst. Die Tatsache, dass der Körper ein Produkt wie jedes andere ist, schockiert viele im Land; besorgte Eltern konfiszieren bei ihren Kindern sogar die DVD des Films, damit sie nicht auf falsche Ideen kommen.
Abwanderung ins Internet
Das hat auch damit zu tun, dass Sex im postkommunistischen Land nach wie vor ein Tabu ist. «Wir sind eine katholische Gesellschaft: Die Religion setzt der Sexualität sehr enge Grenzen», sagt die Soziologin Elzbieta Michalowska in der Wochenzeitschrift «Polityka». Sie schätzt die Zahl der jungen Prostituierten in polnischen Einkaufszentren auf 700. Inzwischen hat sich laut Jakub Spiewak ein neuer Trend eingestellt. Die jungen Mädchen verlagern ihre Dienste ins Internet. «Um die Natelrechnung bezahlen zu können, ziehen sie sich vor Webcams aus oder senden ihrem ‹Sponsoren› Nacktbilder zu.» Und in Erotikforen würden immer mehr Minderjährige für teure Kleider oder Elektronikgeräte Sex anbieten. «Sie verstehen nicht, das ihre Verhalten auch Prostitution ist.» (Tagesanzeiger.ch/Newsnetz)