Amtlich verordnete Zuhälter
Unter Berufung auf die EU hat das Bundesgericht entschieden: Eine Prostituierte darf nicht frei anschaffen – sie braucht einen Bewacher, der sie kontrolliert und mitkassiert.
Mögen die Politiker darüber streiten, ob sich die Schweiz künftig dem EU-Recht unterwerfen oder doch lieber unabhängig bleiben soll. In Bezug auf die Personenfreizügigkeit hat das Bundesgericht längst entschieden – und die Praxis des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Richtschnur erklärt. So auch im Urteil 2C_772/2013 vom letzten September. «Damit in ihren Beziehungen eine möglichst parallele Rechtslage besteht», ist dort zu lesen, «weicht das Bundesgericht praxisgemäss von der Auslegung abkommensrelevanter unionsrechtlicher Bestimmungen durch den EuGH nicht leichthin, sondern nur beim Vorliegen ‹triftiger› Gründe ab.» Und was «triftig» ist, das steht in keinem Gesetz geschrieben; das bestimmen die hohen Richter selber.
Konkret ging es um eine Prostituierte aus Rumänien, die im Erotikklub «Palace» im luzernischen Root anschaffen möchte, und zwar als «selbständig Erwerbende». Im «Palace» bezahlen sowohl Freier wie Frauen einen fixen Eintritt, der sie zur freien Benutzung der Infrastruktur (Sauna, Pools, Zimmer) berechtigt. Das Sexgeschäft ist Sache der Prostituierten, der Betreiber des Klubs ist daran nicht beteiligt. Schon aus rechtlichen Gründen darf er den Frauen keine Auflagen (Arbeitszeiten, Praktiken, Preise et cetera) machen. Das würde unter den Straftatbestand «Förderung der Prostitution» fallen. Lediglich Sozialleistungen, Steuern und Arbeitsbewilligungen werden praktischerweise über den Klub abgewickelt.
Ob es sich bei den Prostituierten um «Freischaffende» oder «Angestellte» handelt, ist eine alte Streitfrage, die nicht nur von Kanton zu Kanton, sondern auch innerhalb der Kantone von Behörde zu Behörde, je nach Interessenlage, unterschiedlich gehandhabt wird. Das Bundesgericht hat nun die EU-Praxis im autonomen Nachvollzug für allgemeinverbindlich erklärt: Prostituierte in Sexklubs sind «Angestellte» – von wem auch immer.
Illegale Arbeitsverträge obligatorisch
Klubbesitzer finden sich damit unverhofft wieder in der Rolle des Zuhälters. Als Arbeitgeber sind sie nun gezwungen, Arbeitsverträge mit den Frauen abzuschliessen – Verträge, die es aus strafrechtlicher Sicht notabene eigentlich gar nicht geben dürfte. Denn jedes Lohnversprechen, jede Kündigungsfrist, jede Art von Weisung des «Chefs» bedeutet eine illegale Freiheitsbeschränkung der Frauen. Doch gemäss Urteil der Euro-Richter in Lausanne dürfen die «Masseusen» – der altväterische Euphemismus steht sinnbildlich für die längt überwunden geglaubte Doppelmoral – nicht frei arbeiten. Der Zuhälter wird ihnen nun gleichsam von Amtes wegen zugeordnet.
Was als juristische Haarspalterei anmutet, hat Folgen. Da eine Rumänin als Angestellte nur begrenzt zugelassen wird, muss der Arbeitgeber nun erst mal nachweisen, dass er an ihrer Stelle keine «inländische» Prostituierte findet. Er muss also Stelleninserate schalten, von denen er zum Vornherein weiss, dass sich niemand melden wird. Denn Schweizerinnen sind in Sexklubs heute so rar wie Palmen in den Hochalpen. Erfolglos versuchte der Besitzer des «Palace», der Jurist und Unternehmer Ingo Heidbrink, die Stellen im Puff beim Arbeitsamt beliebt zu machen. Doch das ist nur der Anfang einer bürokratischen Odyssee.
Heidbrink gehört zu jener neuen Generation von Erotikunternehmern, die grossen Wert auf Legalität legen. Er beschäftigt in seinem Sex-Imperium zwei Bürolisten, die sich ausschliesslich mit der Immigrationsbürokratie herumschlagen. Was eine selbständige Prostituierte früher selber mit einer einfachen Meldung auf dem Einwohneramt bewerkstelligte, ist heute ein langwieriger Prozess.
Für die Frauen ändert sich wenig. Steuern, Kranken- und Sozialversicherung mussten sie auch als Freischaffende zahlen. Es ist nur teurer geworden. Heidbrink kann den Aufwand verkraften. Anders sieht es für die KMU in der Branche aus. Zum Beispiel für das Ehepaar Schaible, das im Kanton Thurgau die Kontaktbar «Talbach» betreibt. Ursprünglich handelte es sich um ein schlecht rentierendes Hotel mit Restaurant; irgendwann quartierten sich Prostituierte ein, die vor Ort auf Kundenfang gingen. Schaible freuten sich über steigende Umsätze, die zumeist aus Rumänien angereisten Frauen ebenso. Ins Sexgeschäft mischten sich Schaibles nie ein, im Einvernehmen mit der lokalen Polizei sorgten sie lediglich für einen legalen Rahmen: keine Drogen, keine Zuhälter, die Frauen mussten ordentlich gemeldet sein.
«Arbeitsverträge» für Prostituierte wurden im Thurgau bereits vor ein paar Jahren Pflicht. Schaibles fanden sich damit unverhofft in der Rolle des Zuhälters, der den Umsatz der Frauen überwachen und an Staates Stelle Steuern und Abgaben eintreiben muss. Ohne Vorwarnung änderte das Migrationsamt die Spielregeln im Herbst erneut. Nun mussten auch Schaibles mit teuren Marktstudien, unsinnigen Inseraten und Anfragen beim Arbeitsamt den Beweis erbringen, dass keine «Inländerinnen» anstelle der Rumäninnen in ihrer Bar anschaffen wollen.
Anders als die Frauen in den staatlichen Zürcher Verrichtungsboxen mit ihren Roma-Zuhältern dürfen die Rumäninnen in den privaten Klubs nicht sofort mit der Arbeit anfangen, wenn sie ihre Papiere eingegeben haben. Sie müssen erst zwei bis drei Wochen untätig auf die Bewilligung warten. Steuern zahlen müssen sie trotzdem, auch wenn sie nichts verdienen. Willkommen im EU-Land der unbegrenzten Bürokratie.
Von Alex Baur
http://www.weltwoche.ch/ausgab…woche-ausgabe-042015.html